„Nach unserer Rund-Tour werdet Ihr mit anderen Augen unterwegs sein“, prophezeite die Naturschutz-Expertin Ute Utz der interessierten Gruppe. Die Grüne Runde in Maichingen hatte eingeladen, die Ortschaft mit dem Rad zu erkunden und dabei Zeichen an der örtlichen Vegetation als Boten des Klimawandels in den Blick zu nehmen.
Zunächst nahm die Gruppe am Startpunkt auf dem Schlüsseläckerplatz die dortigen, gesunden Bäume ins Visier. „Vitale Bäume haben Laub mit kräftiger Farbe und Struktur und eine dichte Krone, durch die Ihr nicht hindurch sehen könnt. Dieses Laub ist in der Lage, CO² aufzunehmen und im Holzkörper zu speichern. Diese Bäume hier genießen eine gute Pflege durch hochwertiges Substrat, ausreichend Wasser und den bestehenden Wurzelschutz“.
Jäh fiel der Gegensatz zu den im Jahr 2015 gepflanzten Bäumchen auf dem Györer Platz aus: nach 6 Jahren Wuchs sind die Baumkrönchen licht, das Laub wirkt vertrocknet. Hier spiele wohl auch die Wärme, die sich durch den geschlossenen Bodenbelag und die dunkle Hochhaus-Fassade entwickle, eine Rolle, wie die Expertin vermutete.
Auch die Begleitpflanzung entlang der Hecke am Grabeland im Grünäcker zeigt dasselbe Bild: von dichter Krone keine Spur. Die Bäume wirken trotz Belaubung kahl, das Blätterkleid wirkt schwach und zerbrechlich.
„Durch den Stress aus trockenen und heißen Jahren, wie wir sie schon 2003, 2015 oder 2018 erlebt haben, leiden die Bäume an Wassermangel und Hitzestress und werden anfälliger für Schädlinge. Weniger Frosttage im Winter dezimieren die einheimischen Schädlinge weniger, steigende Temperaturen bahnen Schädlingen und Krankheiten aus heißeren Klimazonen den Weg, gegen die unsere vorgeschwächten oder heimischen Arten zu wenige Abwehrkräfte aufbieten können“.
Auch die hoffnungsvolle Annahme, die vergleichsweise reichlichen Niederschläge in diesem Jahr könnten die Trockenheit der Vergangenheit wieder ausgleichen, verwies Ute Utz ins Reich der Illusionen: „Ja, der Trinkwasserspiegel ist wieder etwas gestiegen. Aber noch immer nicht auf dem Niveau, wie wir ihn brauchen. Wuchsschäden durch verkümmerte Wurzeln oder verdorrte Kronenäste können auch in regenreicheren Jahren nicht mehr rückgängig gemacht werden. Da leiden im Übrigen Nadelbäume wie Kiefern oder Koniferen gleich wie die Laubbäume“.
Die verdorrten Äste und Baumspitzen konnte die Gruppe eindrücklich an den Straßenbäumen etwa in der Grünäckerstraße beobachten, aber auch an zahlreichen Hecken und auch Standorten in der freien Flur. Das obere Drittel sei praktisch licht oder sogar ganz unbelaubt, stellte die Gruppe im Verlauf ihrer Rad-Tour regelmäßig fest. Was daran liege, dass die Bäume und Sträucher auf dieser Ebene die höchste Kapillar-Leistung benötigen.
„Diese Schäden sehen wir im Übrigen auch schon im Wald, obwohl die Bäume dort in Nachbarschaften deutlich besser geschützt und insgesamt kühler stehen.
Auch von vielen Streuobst-Beständen auf der Feldflur werden wir uns mittelfristig verabschieden müssen“, so ein weiteres bedrückendes Szenario auf der Rundfahrt.
Nicht regelmäßig gepflegte Obstbäume vergreisen und ihre Äste brechen leichter im Sturm. „Wer pflanzt heute schon noch Obstbäume nach?“, sorgte sich die Runde.
Vollkommen abgestorbene Bäume, etwa im Bereich des P&R-Parkplatzes am Bahnhof, überraschte die Vegetations-Kennerin nicht: „Hier könnt Ihr Schäden am Stamm erkennen. Beim Mähen oder Freischneiden wurde die Rinde unsachgemäß verletzt und der Baum sozusagen zu-Tode-gepflegt“. Aber auch Streusalz oder eine unzureichende Wässerung an trockenen Standorten an Straßen und Plätzen führen im Extremfall zum vollständigen Absterben.
Die gute Nachricht: es gibt Hoffnung. Als positive Beispiele erkundete die Rad-Gruppe den Park und verglich die positiven Effekte mit den Grünzügen in oder um Wohngebiete oder mit geschützten Freiflächen: die Umgebung fühlt sich spürbar frischer an. Dies liege an der gespeicherten Feuchtigkeit im Boden und den durch die Kühle geförderten Luftaustausch.
„Diesen Effekt können wir durch gezielten Klimaschutz im Rahmen der Stadtplanung fördern“, verwies der Grüne Bundestagskandidat Tobias Bacherle auf mögliche Gegenmaßnahmen: Dach- und Fassadenbegrünung, Schutz vor Versiegelung, Freihaltung von offenen Flächen. Aber auch die städtischen Pflegemaßnahmen müssten noch einmal selbstkritisch hinterfragt werden- „nicht, dass wir in Zeiten leerer Kassen dort am falschen Ende sparen und die Vegetation nachhaltig gefährden“. Sindelfingen sei eine bemerkenswert grüne Stadt, und das solle auch in Zukunft unter Zunahme extremerer Wetterbedingungen so bleiben.
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