Text von Herrn Zecha zu „Nie wieder ist jetzt“ – Zitate von 1933

„Nie wieder ist jetzt – wehret den Anfängen“

Geschichte wiederholt sich nicht, aber wir können aus ihr lernen. Auch aus der Lokalgeschichte, mit der ich mich befasse.

Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wurde, erschien Sindelfingen nach wie vor als eine gefestigte demokratische Hochburg.

Bei den Landtags- und Reichstagswahlen der Jahre 1931 und 1932 hatten die NSDAP in Sindelfingen stets weit unterdurchschnittlich abgeschnitten, im Gemeinderat verfügten die Nationalsozialisten gerade einmal über einen von 18 Sitzen, der NSDAP-Ortsgruppe gehörten nur etwa 30 Personen an.

Keine sechs Wochen später findet sich folgender Eintrag in der Ortschronik von Bürgermeister Pfitzer:

„8. März: Abends 8 Uhr marschiert eine Abterilung der SA (Sturmabteilung) vor das Rathaus und hißt dort die Hakenkreruzflagge. Kreisleiter Luib von Böblingen, Studienrat an der höheren Bezirksschule, hält eine Ansprache.“[1]

Widerstand seitens des Bürgermeisters oder des nach wie vor amtierenden demokratisch gewählten Gemeinderats ist nicht erkennbar. Die demokratischen Parteien diskutierten in der Gemeinderatssitzung am folgenden Tag über Dohlenbeiträge und Holzverkäufe, als wäre nichts geschehen.

Acht Tage später, am 17. März 1933, gab es die ersten Verhaftungen. Ein beteiligter Polizeibeamter berichtet:

„Eines Abends im Frühjahr 1933 hatte ich als städt. Polizeibeamter in Sindelfingen Dienst. Zu später Abendstunde kam der mir bekannte SA-Führer Morgenthaler in seiner Eigenschaft als Sonderkommissar beim Landratsamt Böblingen auf die Polizeiwache. Mit dem Polizeioberwachtmeister Roth hatte Morgenthaler eine Unterredung betreffs Festnahme kommunistischer Funktionäre. Ich erhielt von Oberwachtmeister Roth den Befehl, Herrn Josef Armbruster in der Leonbergerstraße abzuholen, mit der ausdrücklichen Bemerkung, es müsse ein Polizeibeamter dabei sein, damit Armbruster in der Nacht das Haus öffne. Unterwegs trafen wir den SA-Truppführer Georg Kempf, den Morgenthaler aufforderte, mitzukommen. Bei der Ankunft vor Armbrusters Haus habe ich in Gegenwart des Morgenthaler und Kempf sowie einiger SA-Leute an der Haustüre geklopft. Armbruster schaute im ersten Stock zum Fenster heraus und frug, was los ist. Ich sagte ihm, dass er herunter kommen soll und öffnen. Dieser Aufforderung kam Armbruster nach. Ich begab mich mit Morgenthaler und Kempf zusammen in die Wohnung des Armbruster und eröffnete ihm, er solle sich anziehen, ich hätte den Auftrag des Sonderkommissars, ihn abzuholen.“

Im März wurde der Gemeinderat aufgelöst und am 4. Mai 1933 trat der auf 12 Sitze verkleinerte neue Gemeinderat zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Im Protokoll heißt es:

„Die Gemeinderatsmitglieder werden hierauf auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten durch Ablegung des Diensteids mit Handschlag verpflichtet […]. Hierauf erklärt der Vorsitzende den Gemeinderat für zusammengetreten; er fordert die Gemeinderatsmitglieder zu treuer und gewissenhafter Mitarbeit in der Gemeindeverwaltung auf […] .  Im Namen der Fraktion der N.S.D.A.P. dankt Mitglied Harr dem Vorsitzenden für die freundliche Begrüßung und gibt die Erklärung ab, immer auf ein gutes Zusammenarbeiten mit dem Bürgermeister bedacht zu sein […] Der Vorsitzende dankt […] und gibt für sich namens der städtischen Beamten das Versprechen, sich voll und ganz hinter die nationale Regierung zu stellen und durch treue und gewissenhafte Pflichterfüllung der Gemeinde und der nationalen Regierung zu dienen.“

Von den 12 Mitgliedern des neuen Gemeinderats gehörten nun 11 der NSDAP-Fraktion an. Auch der Bürgermeister war mittlerweile der NSDAP beigetreten. Vier Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Berlin war von Sindelfingens stolzer demokratischer Tradition nichts mehr übrig geblieben.


[1] Wolfgang Burr, „Das Klima ist etwas rauh…“. Sindelfinger Chronik 1893-1948, Sindelfingen 1995, S.129.

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